Elena Ferrante: Tage des Verlassenwerdens

  Dramatisches Ende einer Ehe

Elena Ferrantes vierbändige neapolitanische Saga, allesamt Bestseller, habe ich ausgesprochen gern gelesen: Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes. Nun veröffentlicht der Verlag Suhrkamp das Frühwerk Ferrantes, und auch hier hat mir Frau im Dunkeln, im Original von 2006, trotz der schwierigen Protagonistin gut gefallen. Tage des Verlassenwerdens, ihr zweiter Roman von 2002, auf Deutsch 2003 weitgehend unbeachtet geblieben, hat mir weniger Freude gemacht. Zu extrem war der Absturz der Ich-Erzählerin, zu obszön die Sprache in der ersten Hälfte der Geschichte und etwas zu glatt das Ende. Trotzdem hat auch dieser Roman einen typischen Ferrante-Sog, resultierend aus der erstaunlich klarsichtigen Protokollierung eines eigenen Zusammenbruchs.

Vertreibung aus der bürgerlichen Idylle

An einem Nachmittag im April verkündete mir mein Mann kurz nach dem Mittagessen, dass er mich verlassen wolle. Wir räumten gerade den Tisch ab, die Kinder zankten wie gewohnt im Zimmer nebenan, der Hund lag vor der Heizung und knurrte im Traum. Er sagte, er sei verwirrt, er fühle sich manchmal furchtbar müde und unzufrieden, vielleicht auch gemein. Er sprach ausführlich über unsere fünfzehn Ehejahre und die Kinder und gab zu, dass er wieder ihnen noch mir das Geringste vorzuwerfen hatte.

Für die 38-jährige Olga kommt zu Beginn des Romans die Mitteilung ihres Mannes Mario vollkommen überraschend. Sie hat sich in ihrer Ehe eingerichtet, ist ihrem Mann zuliebe immer wieder umgezogen und zuletzt nach Turin gefolgt, hat die eigene Berufstätigkeit und die schriftstellerischen Ambitionen aufgegeben, war für Haushalt, Essen, den zehnjährigen Gianni, die siebenjährige Ilaria und sämtliche Unannehmlichkeiten des Alltags zuständig, währenddessen ihr Mann den Aufstieg aus ihrer beider unterprivilegierter neapolitanischer Herkunft vorantrieb. So überrumpelt ist sie, dass sie ihm zunächst gar nicht glaubt. Erst als sie nach und nach die Endgültigkeit begreift und Mario in Begleitung einer altbekannten jungen Rivalin sieht, setzen Panik, Wut und eine nicht aufzuhaltende Abwärtsspirale ein:

Ich begann mich zu verändern. Innerhalb eines Monats hörte ich auf, mich ordentlich zu schminken, ich wechselte von einer eleganten Ausdrucksweise, in der ein Bemühen um Rücksicht lag, zu einem durchgängig sarkastischen Ton, der von leicht ordinären Lachanfällen unterbrochen wurde. Obwohl ich mich dagegen wehrte, gab ich mit der Zeit auch den Obszönitäten nach.

Ein Schreckensbild aus der Kindheit
Besonders gut gefallen hat mir die Figur der „poverella“ aus Olgas Kindheit. Diese ehemals energische, fröhliche Frau war, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, wahnsinnig geworden und hatte sich schließlich das Leben genommen. Olga fürchtete deren Schicksal seit drei Jahrzehnten. Erst als sie diese Schreckensvorstellung überwindet, kann sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen.

Elena Ferrante: Tage des Verlassenwerdens. Aus dem Italienischen von Anja Nattefort. Suhrkamp 2019
www.suhrkamp.de

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